Einst lebte ein nicht mehr ganz junger, aber auch nicht ganz alter Mann mit seiner Frau. Das Paar erwartete ein Kind, war aber noch verheiratet. Weil dem Mann eines Tages dämmerte, dass er das noch vor der Niederkunft ändern möchte, machte er der Frau einen Antrag. „Jo, warum ned.“, kam die Antwort und zwei Wochen später folgte die Hochzeit. Stummer Zeuge dieses Aktes der Liebe, der Leidenschaft und des Pragmatismus ist ein Bild. Es zeigt einen Mann in seiner ersten Lederhose, eine Frau im weißen Kleid und Margeritenkranz und – einen persischen Märchenerzähler.
Das ist der Anfang zweier wundersamer Geschichten. Der Geschichte der Gründung einer Großfamilie und der Geschichte eines sehr besonderen Lebensweges. Denn der bekannte Märchenerzähler Helmut Wittmann hat vor mehr als 30 Jahren nicht nur seine Frau geehelicht und das erste von fünf Kindern bekommen, sondern auch kurz nach der Hochzeit eines Morgens beschlossen, Märchenerzähler zu werden. Heute gibt es kaum jemanden im Land, der ihn, den Mann mit Schnauzer, Hut, Lederhose und der großartigen Gabe, die Menschen in den Bann seiner Erzählungen zu ziehen, nicht kennt.
Quelle-Katalog-Texte als Absicherung
„Drei Jahre hat die Aufbauarbeit zum hauptberuflichen Märchenerzähler gedauert“, erzählt Wittmann im Gespräch mit dem OÖ Kulturbericht. Während dieser Zeit habe er parallel als Werbetexter für die allseits bekannt und beliebten Quelle-Kataloge gearbeitet. Dann erst konnte er seine Familie von dem Geld, dass das Märchenerzählen abwarf, ernähren.
Helmut Wittmann versteht sich als Bewahrer eines großen Schatzes – den österreichischen Volksmärchen. Seit zehn Jahren ist das Erzählen ebendieser auf Antrag des 61-Jährigen im UNESCO-Verzeichnis des nationalen immateriellen Weltkulturerbes.
„Der Oberösterreicher ist geprägt von den Bauernkriegen“
Im September dieses Jahres hat Wittmann im Tyrolia-Verlag sein 12. Buch „Von Drachenfrau und Zauberbaum. Das große österreichische Märchenbuch“ veröffentlicht. Es beinhaltet Märchen aus allen Bundesländern und österreichischer Minderheiten. Oberösterreich ist u.a. mit dem Märchen vom verlorenen Weidmesser vertreten, das dem gebürtigen Welser zufolge sehr gut die oberösterreichische Mentalität zum Ausdruck bringt: „Der Oberösterreicher ist fleißig und gradlinig und geprägt von den Bauernkriegen. Er hat kein großes Obrigkeitsdenken. Außerdem ist er ein bissl mostschädlad. Dieses mit dem Kopf durch die Wand, das haben nicht nur die Innviertler in sich drinnen.“
Bei seiner Recherchetätigkeit findet Helmut Wittmann oft nur Fragmente von Geschichten. Diese in Form zu bringen – zu restaurieren – und „so zu formulieren, dass die Inhalte gut und leicht fassbar sind“, das ist das täglich Brot des Märchen-Experten. Und eben die große Kunst des mündlichen Vortrags, bei dem die ZuhörerInnen binnen kürzester Zeit den Erzähler selbst völlig vergessen und sich in einer längst vergangenen und doch heutigen Zeit wiederfinden, die die großen Weisheiten des Lebens in Form von Geschichten mitgibt, aber nicht aufdrängt.
Wie nun der persische Märchenerzähler auf das Hochzeitsbild gekommen ist? Zur Zeit der Hochzeit von Ursula und Helmut Wittmann fand das Märchenfestival SAGA 87 in der Region Pyhrn-Eisenwurzen statt. Austragungsort war u.a. das Stift Kremsmünster. Genau dort, wo das Paar seinen Hochzeitstag gefeiert hat. Bei diesem Festival nahm übrigens kein einziger österreichischer Märchenerzähler teil – weil es damals noch keinen gab!
Infos und Veranstaltungstipps unter www.maerchenerzaehler.at