Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich in die Zukunft beamen. Worüber würden wir reden, wie würden wir denken, was würden wir essen, wie würden wir uns kleiden, uns fortbewegen und wie würde es um unser Ökosystem bestellt sein? Es sind genau solche Fragen, mit denen sich das im Linzer Hafen beheimatete Kunst- und Kulturkollektiv Time’s Up beschäftigt. In Form von begehbaren Welten zeigen sie auf, wie es mit uns weitergehen könnte.
Seit 2013 beschäftigt sich das Team rund um Tina Auer, Tim Boykett, Marc Schrögendorfer, Andreas Mayrhofer und Co. mit alternativen Formen des Geschichtenerzählens. Damals haben sie zum ersten Mal ihre „Physical Narrations/Narratives“ – ihre begehbaren Erzählungen – auf nationaler und internationaler Ebene gezeigt. Schon damals beeindruckten sie mit ihren geschaffenen Räumen, in die sie ihr Publikum eintauchen ließen. Während der letzten sieben Jahre ist Time’s Up viele Schritte weitergegangen. Aus den Geschichten ist eine ganze Welt geworden. Die Lust am Geschichtenerzählen ist ergänzt worden mit der Lust am Fabulieren möglicher Zukünfte. Und dabei geht das Kollektiv wie gewohnt ins Detail, an den Rand der Wissenschaft, auch wenn sie betonen, dass sie im kunst- und kulturtheoretischen Bereich verankert sind und keine Zukunftsforscher sind. „Wir stellen keine Prognosen, wie die Welt in Zukunft sein wird. Wir machen Vorschläge, wie sie bezugnehmend auf bereits vorherrschende Trends und Tendenzen sein könnte. Dabei bewegen wir uns permanent im Spannungsfeld zwischen Utopie und Dystopie.“, so die Tina Auer im Gespräch mit dem OÖ Kulturbericht.
Turnton 2047 Behandelt wird ein Zeitraum von 30 Jahren, der thematische Fokus liegt derzeit auf Umwelt, Arbeit, Migration und Mobilität. Warum sie nicht 100 oder gar 1000 Jahre nach vorne gehen? „Wir möchten den Menschen ihre Handlungsfähigkeit vor Augen führen. Was in 30 Jahren sein wird, das können wir hier und jetzt beginnen mitzubestimmen/mitzudenken.“, so Auer.
Ausgangspunkt der verzimmerten Welten ist dabei der Alltag der Menschen. In der fiktiven Stadt „Turnton 2047“ (turn – gewandelt) erzählen sie mit unterschiedlichsten Methoden Geschichten aus der Zukunft, die jedeR BesucherIn für sich selbst weiterspinnen kann. Diese Verzimmerungen von Zukunftsideen führen dazu, das Vor-Uns-Liegende greifbarer, imaginierbarer zu machen – eine Kunstfertigkeit, die als Future Literacy bezeichnet wird. Dass dies funktioniert, ist unter anderem an den Rückmeldungen der unterschiedlichen Veranstalter erkennbar, die schon mehrmals gemeint hätten, dass es selten Ausstellungen gibt, in denen das Publikum so lange drinnen verweile. „Man kann richtig abtauchen in Turnton, die Stadt bis ins kleinste Detail erkunden. Mit einer Art Establishing Shot – um dieses Filmvokabular zu benutzen – holen wir aber auch all jene ins Boot, die sich nicht so viel Zeit nehmen können oder wollen.“
Begehbar, erlebbar, begreifbar „Stadt am Ozean“ ist mehrere 100 Quadratmeter groß. Ganze Stadtteile, die kulissenartig und auch mit umfangreichen akustischen Landscapes versehen sind, sind teils begehbar, teils via Guckfenster zu „besichtigen“. Eine Ocean Recovery Farm, die sich erfolgreich darum bemüht, das Wasser mittels Algen zu reinigen, die auch als Lebensmittel verwendet werden, gibt es, ebenfalls ein Micorplastic-Reduction Lab oder aber auch „ganz normale“ Bars, in denen fiktive Dialoge zu hören sind, Zeitungen, Zugtickets für “Interkontinentale Hydro Loop-Züge (= durch Wasserstoff betriebene, interkontinentale Reisemöglichkeiten) und unzählige Requisiten verschiedener fiktiver Charaktere, die von Time’s Up bis ins kleinste Detail erdacht wurden. Über die Gegenstände werden diese Figuren, von denen Geburtsdatum, Interessen, Ausbildung usw. bekannt sind, in den Köpfen der BesucherInnen zum Leben erweckt.
Derzeit wäre „Turnton 2047“ beim Linzer Höhenrausch zu sehen. Warum nicht, man will es gar nicht zu oft erwähnen. Nun wird Time’s Up 2021 gastieren, vielleicht muss bis dahin Turnton wieder ein bisschen verändert werden.