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vom ende

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Seit drei Tagen befindet sich unser Ort jetzt im Ausnahmezustand. Ich sitze den ganzen Tag über mit Jan in meinem Haus und warte, dass etwas passiert. Gelegentlich hören wir Hubschrauber fliegen. Über das batteriebetriebene Radio mahnen sie uns, Ruhe zu bewahren, es werde nach einer Lösung gesucht. Bald werde auch unser Ort mit einer Lebensmittellieferung […]

Seit drei Tagen befindet sich unser Ort jetzt im Ausnahmezustand. Ich sitze den ganzen Tag über mit Jan in meinem Haus und warte, dass etwas passiert. Gelegentlich hören wir Hubschrauber fliegen. Über das batteriebetriebene Radio mahnen sie uns, Ruhe zu bewahren, es werde nach einer Lösung gesucht. Bald werde auch unser Ort mit einer Lebensmittellieferung notdürftig versorgt werden.

Der Supermarkt im Ort wurde bereits am zweiten Tag nach der ersten Meldung im Radio geplündert. Auch wir hatten uns an dieser Plünderung beteiligt. Wir waren überrascht, wie friedlich dieses Aneignen der Nahrungsmittel vor sich gegangen war. Es schien, als wäre uns das Land überlassen worden. Ohne Vorankündigung. Still und leise.

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Mit dem restlichen Benzin in meinem Tank sind wir heute in die Stadt gefahren. Von einer großen Krise ist dort die Rede. Vom totalen System-Zusammenbruch. Manche sprechen von einer atomaren Katastrophe, was wir aber ausschließen. In diesem Fall hätte man uns doch über diverse Schutzmaßnahmen informiert?!

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Bis zu einem gewissen Grad hat sich der Zusammenbruch unseres Systems angekündigt. Zuerst die Umbrüche in den nördlichen Ländern Afrikas, dann die Umstürze in Europa. In diesem Ausmaß hab ich mir das Ende aber nicht vorgestellt. Dass es so plötzlich kommen würde, Hand in Hand mit einem sofortigen und gänzlichen Zusammenbruch sämtlicher Versorgung- und Informationswege, das habe ich nicht geahnt.

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Nachtrag: Es war an einem Mittwochmorgen im März als ich aufwachte, die alte, knarrende Holztreppe meines Hauses hinunterging und vergeblich versuchte, Kaffee zu machen. Der Strom schien ausgefallen zu sein. Das Drücken des Stromschutzschalters half nicht. Ich beschloss, Jan, meinen besten Freund im Ort, anzurufen, um zu fragen, ob er auch keinen Strom hat. Kein Empfang. Schnell zog ich Jeans, Pullover und Jacke an und radelte zum Supermarkt. Dem Einzigen im Dorf. Am Weg dahin war es ungewöhnlich still. Es waren kaum Menschen auf der Straße, was zwar bei uns im Ort an sich keine Seltenheit ist, aber dennoch an diesem Tag ein komisches Gefühl in mir erzeugte. Als ich an der Kreuzung zwischen dem Hügel, auf dem mein Haus stand, und dem Ortsplatz, stehen blieb, fiel mir auf, dass auch die Ampeln ohne Strom waren. Von weitem konnte ich bereits erkennen, dass die Lichter des Supermarkts ebenfalls ausgeschaltet waren. Ich stellte mein Rad in den Ständer und wartete. Worauf ich wartete, wusste ich nicht.

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Wir sind nun zu viert in meinem Haus. Emma, Sebastian, Jan und ich. Emma und Jan kennen sich seit ihrer Kindheit. Sind gemeinsam im Ort aufgewachsen. Ich bin vor drei Jahren dazu gestoßen, als ich nach meinem Studium und ein paar Jahren im Ausland mich nach einem Leben am Land sehnte. Von der Erbschaft meiner Großmutter habe ich mir ein kleines altes Häuschen gekauft. Von dort aus bediente ich vor dem Ende meine Kunden via Mail, gelegentlich rückte ich zu Terminen aus. Als Illustratorin konnte ich überall arbeiten, einzige Einschränkungen waren die Deadlines. Ich genoss die Selbstständigkeit und die Vorteile des Landlebens.

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Wie angekündigt sind heute zwei LKWs zu uns ins Dorf gekommen und haben uns mit Getreide, Eiern, Gemüse und Obst versorgt. Niemand weiß, wie lange mit diesen Vorräten auskommen sollen. Die Panik im Dorf wird immer größer. Wir versuchen, Ruhe zu bewahren und das Ende als Abenteuer zu sehen. Als eine Art Survival Camp. Ob wir wirklich alle so cool sind? Ich glaube nicht. Vor allem als wir vor ein paar Tagen in die Stadt gefahren sind, da habe ich Sebastian und Emma angesehen, dass sie Angst hatten. Ich habe es aber nicht geschafft, sie darauf anzusprechen.

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Wir nutzen meinen Keller als Lager für sämtliche Vorräte, die jeder von uns noch zu Hause hatte. Die Stapel an Batterien, Kerzen, Lebensmittel, Kleider, Schuhe, Decken und Werkzeuge im Keller geben uns ein gewisses Gefühl von Sicherheit. Vor allem was Kleider und Schuhe betrifft hält unser Vorrat vermutlich unser ganzes Leben lang. Der Konsumwahn der letzten Jahre und Jahrzehnte hat zumindest jetzt im Nachhinein also endlich was Gutes. Über Gespräche mit den anderen Dorfbewohnern versuchen wir herauszufinden, was passiert ist. Etwas anderes zu tun gibt es im Moment nicht, arbeiten können und müssen wir ja nicht mehr. Und vor allem: Wer braucht schon eine Illustratorin, einen Filmemacher und einen Fotografen in Tagen wie diesen? Einzig und allein Emma, die Krankenschwester ist, ist im Einsatz.

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Es ist warm, fast schon zu warm für März. Ostern steht vor der Tür. Nirgends kündigt sich dieses Fest an. Ich hätte gerne einen Schokoosterhasen.

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Wir haben beschlossen, meinen Garten Richtung Subsistenzwirtschaft zu bearbeiten. Die Eltern von Jan besitzen außerdem am Waldrand ein Stück Land das brach liegt. Wir wollen versuchen, dort Kartoffeln anzusetzen, oder wie man das nennt. Wir haben uns ein System überlegt, wie wir mit unseren Lebensmitteln möglichst lange auskommen können. Jan hat mich heute gefragt, was wir tun sollen, wenn die LKWs nicht mehr kommen. Ich gab ihm keine Antwort.  An den Abenden liege ich oft wach im Bett und kann nicht schlafen vor Hunger. Wir werden es schaffen. Und bald werden auch unsere Felder und Beete im Garten etwas abwerfen. Bestimmt.

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Im Wochentakt kommen die Hilfslieferungen. Das ist der einzige Anlass, warum wir überhaupt den Dorfplatz aufsuchen. Wir vermeiden den Kontakt mit den anderen Dorfbewohnern. Schotten uns ab.

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Offenbar werden wir von jemandem notdürftig versorgt. Vermutlich sind es mehrere. Vielleicht ist es eine ganze Regierung. Oder wie man das jetzt nennt. Ein Nachbar hat uns von einem Freund erzählt, der mit seinem vollen Tank die Stadt versucht hat, auf eigene Faust nach einem Hinweis zu durchsuchen, wer sie sein könnten. Angeblich war er bald von einem Jeep ohne Kennzeichen und getönten Scheiben verfolgt worden. Er hat es gerade noch zur Dorfgrenze geschafft, dann ist ihm das Benzin ausgegangen.

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Ich habe wieder zu zeichnen begonnen. Das tut mir gut. Dabei kann ich abschalten. Im Keller sind noch zehn Packungen Druckerpapier.

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Wir ernähren uns hauptsächlich von Reis und Nudeln. Die Kartoffeln, die wir über die Hilfslieferungen bekommen, horten wir, um sie auf unserem Feld in der Erde zu vergraben und dann im Winter davon essen zu können. Unser Tagesablauf hat sich ganz dem Rhythmus der Natur angepasst. Wir gehen früh schlafen, stehen mit dem ersten Tageslicht wieder auf.

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Der April neigt sich dem Ende zu, der Sommer kündigt sich an. Die ersten Samen sprießen aus den Böden, die wir in den letzten Wochen bestellt haben. Gut, dass das Ende im Frühling gekommen ist. Wir haben eine perfekte Ausgangslage, um uns vorzubereiten.

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Unsere Autos benutzen wir kaum. Wir wollen uns das Benzin für Notfälle aufheben, haben die Fahrzeuge in meiner Garage versteckt. Unser Lebensradius beschränkt sich auf unsere unmittelbare Umgebung. Emma ist die einzige von uns, die in regelmäßigen Abständen in die Stadt kommt. Dort macht sie freiwilligen Dienst im Krankenhaus. Oft bleibt sie tagelang weg. Sie redet kaum über die Dinge, die sie dort sieht oder hört.  Ich würde gerne wissen, was sie dort erlebt, schaffe es aber nicht, sie zu fragen.

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Auch unsere Dorfärztin machte in den ersten Wochen dienst im Stadtkrankenhaus. Jetzt hält sie täglich ihre Sprechstunde hier im Ort ab. Unentgeltlich. Geld, das ist kein gültiges Zahlungsmittel mehr.

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Den Bauern geht es am besten. Sie müssen zwar alles an die Männer mit den LKWs abgeben, schaffen es aber trotzdem, viel zu verstecken. Um die Felder weiter bestellen zu können,  bekommen sie regelmäßig Benzin für ihre Traktoren geliefert. Strom haben auch sie nicht. Jan hilft gelegentlich beim Melken. Ohne Melkmaschinen stehen die Bauern ja vor einer fast nicht mehr zu bewältigenden Aufgabe. Dafür bekommt er Milch, die er mit uns teilt.

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Im Dorf hat sich das Gerücht ausgebreitet, es komme in der Stadt immer häufiger zu Ausschreitungen. Eine Gruppe von Bewaffneten versuche nun, die Lage unter Kontrolle zu bekommen.

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Ich kann sie schon nicht mehr hören, die Informationen aus dem Radio, einmal früh um Sieben, einmal abends um Sieben. Eine elektronische Stimme sagt immer das Gleiche: Kein Grund zur Sorge. Es herrscht kein Krieg, aber die Lage ist ernst. Die Regierung des Landes sucht nach einer Lösung. Bald werden die Batterien leer.

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Emma ist vor ein paar Tagen mit dem letzten Benzin in ihrem Auto in die Stadt gefahren. Davor hatte sie zwei große Taschen gepackt. Wir fragten sie nicht, aber es war klar, dass sie dort bleiben würde.

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Ich liebe es, die Vögel zwitschern zu hören. Die Stille, die mir in den ersten Tagen nach dem Ende so unangenehm, unheimlich erschien, ich habe mich an sie gewöhnt.

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Ich denke oft an meine Großmutter und ihre Erzählungen vom Krieg. Wie sie sich in regelmäßigen Abständen vor den Bombern im Keller verstecken mussten. Diese Sorge haben wir nicht. Das hilft, das Ende als großes Projekt zu sehen.

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Dünn sind wir geworden. Die überflüssigen Kilos, die ich schon lange abnehmen wollte, sie waren schon nach den ersten paar Wochen weg. Ein Problem weniger.

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Sebastian macht sich große Sorgen um seine Tochter. Obwohl ihre Mutter und sie nur 200 Kilometer von unserem Dorf entfernt wohnen, finden wir keine Möglichkeit, wie er zu ihnen fahren könnte. Meine Eltern sind beide schon lange tot. Als einzige Tochter, ohne Tanten und Onkeln, muss ich mir zumindest keine Gedanken um Verwandte machen.

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August: Es ist heiß und trocken.  Womöglich zu trocken für unsere Kartoffeln?

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Jan arbeitet mittlerweile fast den ganzen Tag über bei Bauern in der Nähe unseres Hauses. Im Dorf wurde beschlossen, dass bald eine Art Schulbetrieb für die Kinder im Dorf aufgenommen werden soll. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Der Gedanke daran gibt mir Hoffnung. Das Herumsitzen, ich halte es schon kaum mehr aus.

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Der Herbst ist da. Es ist kalt.

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